Entwicklung der Rundsteuertechnik

loubery kDas erste gebrauchsfertig beschriebene Rundsteuersystem findet sich in der am 31.12.1899 vom Franzosen César René Loubery beim Kaiserlichen Patentamt im Berlin eingereichten Patentschrift. Am 15.03.1901 wurde daraufhin das Patent Nr. 118717 über die "Einrichtung zur elektrischen Zeichengebung an die Theilnehmer eines Starkstromnetzes" veröffentlicht (s. Zeichnung). Dort heißt es: "Für verschiedene Signale sollen zusätzlich Wechselströme verschiedener Frequenzen über das Netz geschickt werden. Vermöge der elektrischen Resonanz können dann an den Empfangsorten die Signale verschiedener Frequenzen sauber getrennt und über Elektromagnete zu Schaltvorgängen oder auch zu mechanischen Bewegungen ausgenützt werden." Die Mehrfrequenz- Rundsteuerung ist damit klar formuliert.

Zu Anfang des neuen Jahrhunderts gehörten Mehrfachtarife, Tarifschaltuhren und Maximumzähler mit nunmehr fester Mittelwertperiode schon zum festen Bestand der Elektrizitätswirtschaft. Nur bei der Rundsteuerung zeigte sich kein Fortschritt zur betrieblichen Realisierung. Erst von 1920 an gibt es eine ununterbrochene Entwicklung auf eine Rundsteuertechnik hin, die den Bedingungen des Netzbetriebes standhielt.

Seit 1927/28 wurde nach Versuchen in Marseille und Paris unter dem Namen Actadis (Action à distance) von der Compagnie des Compteurs (CdC) ein System im Pariser Netz eingesetzt, das jedem Befehl eine andere Frequenz aus dem Bereich zwischen ca. 400 Hz und 1000 Hz zuordnete. Träger der Information waren dem Energienetz überlagerte tonfrequente Impulse. Da die tonfrequenten Impulse verschiedene Frequenzlagen hatten, bezeichnet man dieses Verfahren als Mehrfrequenzverfahren. Die Frequenz des einphasigen Wechselstromgenerators für die Tonfrequenz konnte durch Veränderung der Drehzahl des antreibenden Gleichstrommotors eingestellt werden. Das Empfangsgerät war für eine lmpulszahl-Codierung eingerichtet. Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung ergaben sich aus zwei Gründen:

  • Die Sendeausrüstung für mehrere Frequenzen war relativ aufwendig, und

  • die Zahl der Befehle war begrenzt.

In Deutschland wurde in den 30er Jahren das Telenerg-System von Siemens entwickelt, ein Mehrfrequenzverfahren mit Überlagerung von 8-12 Frequenzen zwischen 280 Hz und 600 Hz. Eine Versuchsanlage lief seit 1932 im 20 kV-Netz der Isar-Amperwerke. Im gleichen Zeitraum entstand bei der AEG das Transkommando-System, das die Information in Form von Spannungssenkungen der 50 Hz-Spannung von je 2 Perioden Dauer übertrug, herbeigeführt durch kurze Stromunterbrechungen in einer der drei Phasen.

Eine Information wurde im Sinne des Intervall-Codes dargestellt. Die Versuchsanlage befand sich im Netz Stuttgart-Feuerbach. Dieses Verfahren bildete den Übergang zu den Einfrequenzverfahren, allerdings unter Benutzung der Grundschwingung des Energienetzes als Träger der Information. Beide Systeme konnten sich nicht durchsetzen. Auch in England und den Vereinigten Staaten hatte man sich mit den Fragen der Rundsteuerung beschäftigt, sie hat dort aber keinen Fuß gefasst.

Etwa zur gleichen Zeit entwickelte Kemmelmeier vom Fränkischen Überlandwerk ein Reihenverfahren zur Fernsteuerung von Schaltstellen in Mittelspannungsnetzen. Bei diesem Verfahren wurde nur eine im Nullstromkreis des Mittelspannungsnetzes überlagerte Tonfrequenz als Informationsträger verwendet. Damit war die Urform der heute angewendeten Verfahren der Tonfrequenz- Rundsteuertechnik geschaffen. Bei ihnen werden tonfrequente Impulse einer definierten Zahl zeitlich geordnet als Informationsträger dem elektrischen Energienetz aufgeprägt (Einfrequenzverfahren als Zeitvielfachverfahren).

Während die Weiterentwicklung in Deutschland bis nach dem 2. Weltkrieg ruhte, wurde in der Schweiz das Einfrequenzverfahren als Zeitvielfachverfahren bei Landis & Gyr zur allgemeinen Anwendbarkeit weiterentwickelt. Dieses Verfahren wurde nach dem 2. Weltkrieg auch in Deutschland übernommen. 1950 wurden bei der HASTRA in Hannover und bei den VEW in Dortmund die ersten Anlagen dieser Art in Betrieb genommen. Die Entwicklung der Rundsteuertechnik ging also in unserem Land eindeutig in Richtung der Tonfrequenz- Rundsteuertechnik und hier wieder vom Mehrfrequenz- zum Einfrequenzverfahren und damit vom Parallel- zum Reihen- oder Zeitvielfachverfahren. Die Impulsintervall-Codierung mit einer einzigen Tonfrequenz hatte sich inzwischen so durchgesetzt, dass andere Firmen, so Zellweger und Sauter in der Schweiz, nach dem Krieg sogleich in diese Technik einstiegen.

Zum Einfrequenzverfahren ging etwa 1954 auch die CdC in Frankreich über. Brown-Boveri baute ein System mit einer Frequenz und Impulslängencodierung unter Verwendung nur einer, der Grundschwingung des elektrischen Energienetzes überlagerten, Tonfrequenz als Informationsträger. Der Grund für diese Entwicklung war offenbar die Erkenntnis, dass es leichter ist, eine einzige, geeignete Tonfrequenz dem elektrischen Energienetz zu überlagern und auszuwerten als mehrere. Bemerkenswert ist noch der Übergang vom motorgetriebenen Tonfrequenzgenerator (rotierender Frequenzumformer) zum statischen Frequenzumformer. Er vollzog sich Ende der 60er Jahre mit Hilfe der Leistungselektronik. Der Vollständigkeit halber sei noch nachgetragen, dass es zwischendurch auch Rundsteuersender in Form von Quecksilberdampfumrichtern gab, die jedoch nur geringe Bedeutung erlangten.

Für das Rundsteuersendeverfahren haben sich in Deutschland die Begriffe "Tonfrequenz-Rundsteuerung" und "Tonfrequenz-Rundsteuertechnik" eingebürgert. In der Schweiz sind bis heute die Ausdrücke "Netzkommandotechnik" oder auch "Zentralsteuerung" in Gebrauch geblieben. In Frankreich und Italien spricht man von "Zentral-Fernsteuerung", in England von "zentralisierter Netzsteuerung" oder auch von "Rippel-Steuerung" (ripple-control).